Das Internationale Forschungsnetzwerk BTWH legt einen monumentalen Band zur Zweiten Wiener Moderne in zwei Sprachfassungen vor.

Eine neue Gesellschaft auf demokratischer Grundlage, geprägt von Verteilungsgerechtigkeit und wissenschaftlicher Evidenz: Für diese Vision steht das Rote Wien als Chiffre. Wie baut man eine Stadt ohne Slums und Ghettos, wie gewährleistet man Gesundheitsversorgung für alle, wie schafft man ein sozial durchlässiges Bildungssystem? Das sind heutige Fragen als ferne Echos aus einer Zeit, in der politischer Gestaltungswille und Aufklärung eine fragile Allianz eingingen.

25th Annual Conference, June 26-30, 2024

In die Zeit ab 1900 fallen Höhe- und Tiefpunkte deutscher Machtentfaltung in vielen Feldern: die Erschließung natürlicher und synthetischer Ressourcen, die Rationalisierung staatlicher Verwaltung und Biopolitik genauso wie die (praktisch nutzlose) Flottenrüstung, die Niederlage im Ersten Weltkrieg, der Verlust der Kolonialterritorien, durch Reparationen bedingte Wirtschaftskrisen, Inflation und der Verlust jüngst geschaffener industrieller Infrastruktur. Imaginationen von massiven technologischen Eingriffen in Umwelt und Gesellschaft haben vor diesem Hintergrund ab 1900 Konjunktur: Viele Intellektuelle sehen sich in ganz Europa und den USA mit einer neuen Qualität der Globalisierung konfrontiert – diese wird als Faktum zur einer der zentralen Motivationen hinter der explodierenden ‚Textproduktion‘ zur Technologisierung der Erde und anderer Planeten in Kunst, Literatur, Film und Publizistik.

Planetarische Distribution und Zirkulation von Technologie, Energie und Kapital werden bei den entsprechenden Autor*innen dabei zur Voraussetzung einer terrestrischen Neugestaltung jeder kommenden Gesellschaft. Hiervon ausgehend fokussiert das Jahresthema die Emergenz von Imaginationen über zeitgenössische und zukünftige Krisenphänomene weltumspannender Globalisierung für Deutschland, Europa und die Welt. Im Mittelpunkt steht daher die Frage, welchen Stellenwert Engineering/Technologisierung in verschiedenen Ausmaßen in Texten hat, die auf eine stattfindende ‚Schrumpfung der Erde‘ (und deren Folgen) reagieren.

Annual Topic 2023/24: Terraforming: Planetary Engineering in Literature, Art, and Media 1900-1950

Venue: Faculty of Arts, Masaryk University Brno Arna Nováka 1, 60200 Brno

Sponsored by Masaryk University and the Ludwig Boltzmann Institute for Digital History (LBIDH)

BTWH – The Emergence of Modernity ist ein internationales Forschungsnetzwerk, das Forschungsgruppen an einer Vielzahl von Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen in den USA und in Europa umspannt.

BTW (als Abkürzung für die University of California at Berkeley, die Eberhard-Karls-Universität Tübingen, und für mehrere Institutionen in Wien) formierte sich erstmals 1998 am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien unter Anstoß von Anton Kaes und Gotthart Wunberg. Im Jahr 2001 um die Harvard University erweitert, versammelt BTWH seither mehrere Generationen junger (und mittlerweile auch älter gewordener) Literatur-, Film- und Kulturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Im Jahr 2013 kam eine eigene Gruppe an der University of North Carolina at Chapel Hill, hinzu, die am stärksten wachsende Gruppe ist jene der Freefloaters: Absolventinnen und Absolventen der Universitäten an den fünf genannten Hauptstandorten, die mittlerweile andernorts tätig sind.

Das Netzwerk, das sich durch die internationalen Karrieren seiner Mitglieder stark verzweigt hat, erweist sich trotz oder gerade wegen seiner dezentralen Organisation und seiner nur losen institutionellen Anbindungen als langlebig und außerordentlich produktiv.

Die jeweils unter einem Jahresthema stehenden, betont unabhängig von geläufigen Kanonisierungen ausgewählten Texte, Filme und anderen kulturellen Artefakte rund um den Begriff der Moderne werden in Jahreskonferenzen auf ihre gesellschaftliche Produktivität oder – mit Stephen Greenblatt gesprochen – auf ihre »zirkulierende soziale Energie« hin debattiert. BTWH kommt zwar nicht ohne verschiedene Denkrichtungen, aber als eine Art ‚Gelehrtenrepublik' ohne dominante Hierarchien und direkte Karriere-Anreize aus. Die Faszination des Projekts besteht im freien Spiel der Auflösung traditioneller Fach- und Denktraditionen, im Herstellen neuer (intertextueller und intermedialer) Verbindungen und schlicht im Vergnügen des Aufspürens, Entdeckens und Präsentierens überraschender Fundstücke.

Das Netzwerk kommuniziert über regelmäßige Treffen der Einzelgruppen, elektronische Medien und über jährliche Konferenzen an einem der beteiligten Standorte. Einzel- und Sammelpublikationen dienen einer Zusammenfassung bzw. Sicherung der Ergebnisse und ihrer Kommunikation an die wissenschaftliche Öffentlichkeit.

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